Veröffentlichungen 2017
Aus Akademie Aktuell 2. Hj. 2017

Bild links: Mark Rutte, Weltwirtschaftsforum Davos 2013, Wikimedia Commons, Weltwirtschaftsforum, CC BY-SA 2.0; Bild rechts: Geert Wilders am Prinzentag 2014, Wikimedia Commons, CC0 1.0

BIld links: Emmanuel Macron im Vorfeld der Konferenz Place de la Sante am 21.02.2017, Flickr.com, CC BY-NC 2.0; Bild rechts: Marine Le Pen, Europaparlament Straßbourg, Wikimedia Commons, Claude Truong-Ngoc, CC BY-SA 3.0

Bild links: Theresa May, Wikimedia Commons, UK Home Office, CC BY-SA 2.0; Bild rechts: Jeremy Corbyn, April 2016, Wikimedia Commons, CC0 1.0

Bild links: Martin Schulz, Wikipemia Commons, EuropeDirect, CC BY-SA 3.0; Bild rechts: Angela Merkel, Wikipedia.de, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0

Bild links: Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern 2016, Flickr.com, SPÖ Presse und Kommunikation, CC BY-SA 2.0; Bild rechts: Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz 2014, Flickr.com, tom mesic, CC BY-SA

Infografik: https://de.statista.com/infografik/6846/populismus-in-europa-2016
Europäisches Wahljahr 2017
Das Wahljahr 2017 bleibt interessant, auch wenn ein Großteil der Wahlen bereits hinter uns liegt: begonnen mit der Wahl des Bundespräsidenten im Februar über die Wahlen in den Niederlanden, die Präsidentschaftswahlen in Frankreich sowie Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen. Vor uns liegen noch die Wahlen in Großbritannien, Parlamentswahlen in Frankreich und Österreich sowie am 24. September die Bundestagswahl.
Selten sind Wahlen im europäischen Ausland auch bei uns in Deutschland mit derartiger – nicht nur medialer – Aufmerksamkeit bedacht und verfolgt worden. Denn nicht nur in den Niederlanden sollten die Weichen für die weitere Zusammenarbeit in der Europäischen Union gestellt werden.
Der dortige Ministerpräsident Mark Rutte kann mit seiner konservativ-liberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie weiterregieren, die Koalition mit den Sozialdemokraten wurde jedoch abgewählt. Aufatmen bei den europäischen Nachbarn, die pro-europäischen Stimmen haben sich durchgesetzt. Die für heutige Verhältnisse hohe Wahlbeteiligung von 80% spiegelt sicherlich auch die Sorge vieler Wählerinnen und Wähler vor einer rechtspopulistischen Regierung unter Geert Wilders wider. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker betrachtet das Ergebnis als „ein Votum für Europa, ein Votum gegen Extremisten“.
Dennoch konnte Wilders mit 13% immerhin zur zweitstärksten Kraft aufsteigen und sich von 15 auf 20 Sitze im Parlament steigern. Er vertritt damit einen nicht unerheblichen Teil der niederländischen Bevölkerung. Auch Wilders Themen wie ein Austritt aus der EU, geschlossene Grenzen und ein Austritt aus der Währungsunion werden weiterhin auf der Tagesordnung der NiederländerInnen stehen. Eine Regierungsbeteiligung wird es jedoch nicht geben, das ist zunächst die gute Nachricht für unsere Nachbarn wie auch für uns.
Für den alten und neuen Ministerpräsidenten Rutte wird es sicherlich nicht leicht, eine starke Regierung aufzubauen. Die Koalitionsverhandlungen gestalten sich schwierig und ziehen sich hin (Stand: Mai 2017). Rutte steht vor der Aufgabe, eine stabile Regierung zu formen und die Niederlande als weltoffenes Land zu erhalten.
Auch in Frankreich wurden die Wahlen interessiert und mit Spannung beobachtet. Würde es Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National gelingen, mit anti-europäischen Parolen Präsidentin eines Gründungsmitgliedes der EU zu werden?
Die pro-europäischen Kräfte konnten sich auch in diesem Fall durchsetzen. Der Wahlsieg Emmanuel Macrons wurde mit Erleichterung aufgenommen. Mit 65% der Stimmen ging die Stichwahl auf den ersten Blick recht deutlich zugunsten Macrons aus. Dieser Sieg relativiert sich etwas, wenn die Nichtwäh-lerInnen wie auch die ungültigen Stimmen in den Blick genommen werden: Ausgehend von einer Wahlbeteiligung von ca. 75% haben 45% aller Wahlberechtigten für Macron gestimmt, 21% stimmten für Le Pen. Jede zehnte abgegebene Stimme war ungültig.
Diese Zahlen zeigen deutlich die Stimmung Frankreichs als gespaltenes Land. Macron ist nicht der strahlende Sieger, wie ihn viele Deutsche wahrnehmen, sondern für viele Franzosen und Französinnen war er „das kleinere Übel“. Seine große Herausforderung in den kommenden Jahren wird es sein, das französische Volk zu einen und die Gräben, wenn nicht zu schließen, so zumindest weniger tief erscheinen zu lassen. Die Wählerinnen und Wähler, die für den Front National gestimmt haben, müssen mit überzeugenden Ideen in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt werden.
Die am 11./18. Juni anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung werden zeigen, ob dies mit Rückenwind aus Macrons Partei „La République en Marche“ geschehen kann, oder ob eine „Cohabitation“, also eine Präsidentschaft ohne eigene Parlamentsmehrheit, die Amtszeit deutlich schwieriger gestalten wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch bei diesen Wahlen die rechtsstaatlichen, demokratischen, pro-europäischen und freiheitlichen Kräfte in Frankreich durchsetzen werden, denn immerhin hat jeder 5. Wahlberechtigte bei den Stichwahlen für Marine Le Pen gestimmt.
Großbritannien wählt am 8. Juni. Die ersten Wahlen nach der Entscheidung zum Ausstieg aus der Europäischen Union sollen aus Sicht von Premierministerin Theresa May den Konservativen (Tories) den Rücken für die Verhandlungen über den Ausstieg stärken.
Die Abgeordneten der Labour Party hingegen sehen den Wahlen mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Die Mitglieder der Labour Partei sind hinsichtlich des Brexit-Themas sehr gespalten. Zwar haben zwei Drittel der Labour-Wählerinnen und -Wähler beim Referendum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt, in den meisten Labour-Wahlkreisen setzten sich jedoch die EU-Gegner durch. Labour-Chef Jeremy Corbyn präsentiert sich auch nicht als der überzeugendste Brexit-Gegner. Es fällt den Labour-Anhänger-Innen schwer, den Standort von Labour zu bestimmen, viele wenden sich daher ab. Die Wahlen werden also u.a. darüber entscheiden, wie Großbritannien in die Verhandlungen mit der EU einsteigen und wie hart der Schnitt werden wird. Gemäßigtere Positionen könnten den zukünftigen Zusammenhalt und die zukünftige Zusammenarbeit nicht nur innerhalb der EU, sondern innerhalb Europas positiv beeinflussen.
In Deutschland werden die Abgeordneten des Bundestages am 24. September neu gewählt. Anders als in den Niederlanden oder Frankreich sind die deutschen Rechtspopulisten in Form der AfD nicht so stark einzuschätzen, dass eine Regierungsverantwortung zu erwarten wäre. Dennoch wird es von Interesse sein, wie viele Stimmen die AfD auf sich vereinigen können und was ein ggf. stärkeres Abschneiden im zweistelligen Bereich für unsere freiheitliche Gesellschaft bedeuten wird.
Interessant wird auch das Abschneiden der SPD sein, die inzwischen – trotz der anfänglichen Begeisterung über die Nominierung von Martin Schulz – drei Landtagswahlen klar, z.T. erdrutschartig verloren hat. Wird es weiterhin eine Regierungsbeteiligung der SPD geben oder wird die Schwäche der SPD bei gleichzeitigem Erstarken der FDP wie in NRW auch im Bund zu einer schwarz-gelben Koalition führen?
Die Flüchtlingspolitik wird sicherlich auf Bundesebene im Wahlkampf eine Rolle spielen. Im Fokus wird stehen, ob es den Parteien gelingen wird, Antworten auf die offenen Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu finden. Ein reines „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin wird nicht mehr reichen, jetzt ist es wichtig zu sagen, wie wir es schaffen können.
Das Gefühl der sozialen Spaltung im Land und jenes vieler Menschen, abgehängt zu sein, bildet eine weitere Herausforderung, die die Parteien aufgreifen sollten. Gerade auf solche Fragen liefern Populisten häufig vermeintlich einfache „Antworten“. Schön wäre es, wenn es sie gäbe, die einfachen Antworten. Aber in einer pluralen und demokratischen Gesellschaft wie der unseren gibt es stattdessen häufig steinige Wege des Aushandelns und Ausbalancierens. Hier sind langer Atem und Visionen für die Zukunft gefragt, die allen Menschen in unserem Land Chancen auf Beteiligung bieten.
Für die SPD wird wichtig sein, sich thematisch etablieren zu können. Das Schlagwort von der „sozialen Gerechtigkeit“ muss mit Leben gefüllt werden. Was ist darunter zu verstehen? Und wie soll das erreicht werden? Mit inhaltsleeren Phrasen wird im September kein Blumentopf zu gewinnen sein. Die Wählerinnen und Wähler wollen wissen, wofür Parteien und KandidatInnen stehen.
Den Abschluss des Wahljahres bildet Österreich mit vorgezogenen Parlamentswahlen. Nach dem Auseinanderbrechen der Koalition aus SPÖ und ÖVP steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Regierungsverantwortung der rechtspopulistischen FPÖ. Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Konservativen strecken derzeit ihre Fühler in Richtung der Freiheitlichen aus und sondieren Möglichkeiten des Koalierens. Das wäre sicherlich ein herber Schlag für die Befürworter eines geeinten Europas.
Ein Merkmal populistischer Parteien ist ihre antipluralistische Haltung, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit grundsätzlich erschwert. Und genau diese ist vor dem Hintergrund des Brexits und der Flüchtlingskrise umso wichtiger. Zugleich gefährden populistische Parteien die Demokratie, da sie der Ansicht sind, als einzige den wahren Volkswillen zu erkennen und zu vertreten. Politische Gegner werden grundsätzlich nicht anerkannt und diskreditiert. Meinungsvielfalt ist nicht erwünscht. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wird die Zusammenarbeit in der EU erschweren und Länder wie Polen und Ungarn in ihrem anti-europäischen Kurs bestärken.
Insgesamt werden in diesem Wahljahr nicht nur auf nationaler Ebene die Karten neu gemischt. Auch für die Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind die Wahlausgänge von Bedeutung. Die Signale der ersten Wahlen waren deutlich: Die Menschen haben sich mehrheitlich für das Modell der europäischen Integration ausgesprochen. Die friedensstiftende Funktion, die grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenarbeit, der Euro – all dies wird von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler geschätzt und unterstützt. Es bleibt uns als Europäerinnen und Europäern zu wünschen, dass wir auch am Ende des Wahljahres in einem weltoffenen, demokratischen und pluralistischen Umfeld leben werden.
Ines Gerke-Weipert
Hinweis: Der Artikel wurde Mitte Mai 2017 verfasst.

Wahlurne Frankreich, Wikipedia.de, Rama, CC BY-SA 2.0

Wahl-O-Mat-Logo der Bundeszentrale für politische Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, CC BY-NC-SA 3.0 DE
Sie haben die Wahl – und das ist gut so!
Das Superwahljahr 2017 ist im vollen Gange: Die Ergebnisse stehen hier nicht zur Diskussion. Die Bundestagswahl ist auf Sonntag, den 24. September 2017, terminiert. An dieser Stelle möchte ich Sie ermuntern, von Ihrem Wahlrecht aktiv Gebrauch zu machen. Die Entwicklung der Wahlbeteiligung ist momentan positiv: Sie lag z. B. bei der diesjährigen NRW-Landtagswahl mit 65% ca. 5,6 Prozentpunkte höher als 2013. Eine Steigerung, die sicherlich auch auf die wachsende Politisierung durch neue/junge Parteien zurückzuführen sein dürfte. Gut so!
Doch immer wieder stellen sich viele Bürger die Frage, warum soll ich überhaupt wählen? Sie sehen keine Notwendigkeit, messen ihrer einzelnen Stimme kein Gewicht bei und bleiben den Wahlurnen fern. Dabei gibt es zahlreiche und gute Gründe sein Wahlrecht auszuüben.
Wenn Sie z. B. gegen Rechtspopulisten etc. sind, weil Ihnen die Positionen zu extrem oder zu oberflächlich sind, dann bringen Sie dies bitte zum Ausdruck: Gehen Sie wählen. Denn jede Stimme für andere politische Parteien oder Standpunkte schwächt die Stimmgewichte für Extreme. Die passende Antwort auf wachsenden Populismus kann ich in Gesprächen und vor allen Dingen durch Ausübung meines Wahlrechts geben.
Nachfolgend sind insgesamt zehn gute Gründe zu wählen aufgeführt, die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg publiziert wurden:
- Weil es mein Recht und Privileg ist! […] Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist letztlich Grundlage dafür, dass jeder Wahlberechtigte aktiv an der Demokratie mitwirken kann. […]
- Weil jede Stimme zählt! Die Entscheidung, wer das Land regiert, kann ganz schnell von ganz wenigen Stimmen abhängen. Im Zweifel genau von meiner. […]
- Weil andere entscheiden, wenn ich nicht wähle! Werden Stimmen nicht abgegeben, gehen sie verloren. Gehe ich also nicht wählen, werden andere entscheiden, wer mich vertritt. […]
- Weil Wählen mein bester Schutz gegen Extremisten ist! Wer nicht wählt, erleichtert es extremistischen politischen Strömungen, einen größeren Einfluss auf unsere Gesellschaft und die Politik zu bekommen. […
- Weil Nichtwählen aus Protest nicht funktioniert! Nicht zu wählen schadet keiner Partei. Ein Beispiel dafür ist die Wahlkampfkostenerstattung: Welche Partei wie viel vom Staat bekommt, entscheidet ihr Prozent-Anteil. Und der wiederum errechnet sich aus den gültig abgegebenen Stimmen. […]
- Weil Wählen heißt, Verantwortung zu übernehmen! […] Wenn ich heute darauf verzichte zu wählen, verzichte ich auch darauf, meine eigene Zukunft mitzugestalten.
- Weil ich aktiv die Politik beeinflussen kann! Mit meiner Stimme nehme ich Einfluss auf die Politik. Die wiederum nimmt Einfluss auf wesentliche Fragen des Alltags. […]
- Weil auch ungültig gemachte Stimmen eine Aussage treffen! Auch ein ungültig gemachter Stimmzettel ist eine in der Wahlbeteiligung enthaltene Stimme, also eine Wahlaussage. […]
- Weil Wählen Bürgerpflicht ist! Niemand ist gezwungen, zur Wahl zu gehen. Ich habe die Freiheit dazu und wir alle stehen in unserer eigenen Verantwortung. […]
- Weil ich mit meiner Wahl entscheide, wer Bundeskanzler wird! Der mit meiner Stimme gewählte Bundestag wählt den/die Bundeskanzler/in. […]
Wenn jetzt noch argumentiert wird, man könne nicht wählen, weil man nicht im Thema stehe und auch keine Lust und Zeit habe, stundenlang Wahl- und Grundsatzprogramme der politischen Parteien zu studieren, um sich zu informieren, dem sei die Wahlorientierung mittels Wahl-o-Mat empfohlen. Einfach erklärt: Auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung beantwortet man ca. 28 Fragen zu aktuellen politischen Themen und Thesen. Das Programm – also der „Wahl-o-Mat“ – zeigt dann den Grad der Übereinstimmung meiner Antworten mit den Zielen der verschiedenen politischen Parteien. Das geht recht zügig, macht Spaß, fördert die inhaltliche Auseinandersetzung und Positionierung. Probieren Sie es doch einfach einmal aus! Einige Teilnehmende gaben mitunter die Rückmeldung, dass ihnen unerwartete Ergebnisse angezeigt wurden: „Ich dachte, ich stehe mit meiner Meinung für eine andere Partei.“ Gut so, denn nun ist man in der inhaltlichen Auseinandersetzung, Meinungs- und Willensbildung. Auf der besagten Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es auch aussagekräftige Kurzprofile und Hintergrundinformationen zu den politischen Parteien, die man sich ebenfalls anschauen kann – aber nicht muss.
Ein letzter Aspekt: Untersuchungen machen erneut deutlich, dass die Wahlbeteiligung je nach sozialer und wirtschaftlicher Stellung unterschiedlich ist. Je schwächer die gesellschaftliche und ökonomische Position, desto seltener gehen die BürgerInnen zur Wahl, weil sie glauben, dass niemand ihre Interessen vertritt und sich an ihrer Situation nichts positiv ändern wird. Eine äußerst bedenkliche Entwicklung, die so zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann: Weil sie nicht wählen, werden diese Menschen auch nicht von den politischen Parteien umworben und sind nach der Wahl mit ihrer Meinung tatsächlich kaum repräsentiert. Damit wächst langfristig der mögliche Nährboden für politische Extreme und Populisten. Zwei Dinge können helfen: Erstens zur Wahl gehen und zweitens mittelfristig über Änderungen des Wahlsystems nachdenken, um diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen.
Mit Ihrer Stimmabgabe stärken und festigen Sie die Demokratie! In diesem Sinne hoffe und vertraue ich auf eine hohe Wahlbeteiligung bei der anstehenden Bundestagswahl am 24.09.2017.
Johannes Robert Kehren
Weitergehende Informationen zum Thema unter:
Aus Akademie Aktuell 1. Hj. 2017

Donald Trump © Gage Skidmore, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Collage v.l.n.r.: Vladimir Putin (© www.kremlin.ru, Wikimedia Commons, CC BY 4.0), Bashar al-Assad (© Fabio Rodrigues Pozzebom / ABr, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0), Benjamin Netanjahu (© Dragan Tatic, Wikimedia Commons, CC BY 2.0), Xi Jinping (© Antilong, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

NATO und Warschauer Pakt im Kalten Krieg ,© Guinnog, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

© geralt, Pixabay, gemeinfrei, CC0 Public Domain

Andrea Nahles, Arbeits- und Sozialministerin in der aktuellen Großen Koalition (Kabinett Merkel III), Heinrich-Böll-Stiftung – Flickr CC BY-SA 2.0

Klimawandel © geralt, Pixaby, gemeinfrei, CC0 Public Domain
Quo vadis, Amerika?
Was niemand für möglich gehalten hat, ist nun eingetreten: Der Milliardär Donald Trump wird der 45. Präsident der USA werden. Damit steigt ein Mann zum „mächtigsten Mann der Welt“ auf, der als Außenseiter in das Rennen um das Weiße Haus eingestiegen ist, in seinem Wahlkampf alle Regeln des Anstandes gebrochen, bald jeden Tag einen Tabubruch begangen hat und schließlich doch die meisten Wahlmänner auf seine Seite ziehen konnte. Was ihn umtreibt, welches politische Programm er verfolgt, wie er zu regieren gedenkt, dass ist Trump im Wahlkampf weitgehend schuldig geblieben. Stattdessen ersetzten Schlagworte eine politische Agenda: Mauerbau an der Grenze zu Mexiko, Abschiebung von mehr als zehn Millionen illegaler Einwanderer aus den USA, Einreiseverbot für Muslime, Amerika wieder stark zu machen und Amerika zuerst lauten die von ihm verkündeten Parolen.
So kann zu diesem Zeitpunkt nicht darüber berichtet oder gar diskutiert werden, was der neue US-Präsident machen wird: weder in der Innen-, noch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte ist ein Mann ins Weiße Haus in Washington gewählt worden, von dem in der Öffentlichkeit niemand weiß, was er anpacken, ändern, erneuern oder beibehalten will. Diese Unbekannte trifft auch auf die Amtskollegen in der übrigen Welt zu. Weder die Bundesregierung, noch eine andere europäische Regierung weiß eine Antwort auf diese Frage, vom Rest der Welt über Russlands Putin, Syriens Assad, Israels Netanjahu oder Chinas Präsident Xi ganz zu schweigen. Damit ist die Welt für die nächsten Wochen, vielleicht sogar Monate, unberechenbarer geworden.
Ganz anders ist es mit der Frage, wie dieser Wahlsieg möglich geworden ist? Was steckt dahinter, und gibt es Parallelen zu Deutschland und Europa? Stehen wir am Ende unseres bisher bekannten politisch-demokratischen Systems? Kommt dem Wahlsieg Trumps die Bedeutung einer Revolution zu? Wer versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden, der muss weit zurückgehen in die Entwicklung der letzten 20 bis 25 Jahre. Jede grundlegende Kursveränderung hat eine lange Vorgeschichte, auch das oft erst so plötzlich wahrgenommene Ereignis hat Wurzeln, die lange zurückliegen. Dann kommen Faktoren zusammen, die – jeder für sich betrachtet – vielleicht nicht ausreichen, das Brachiale der Veränderung zu erklären, in ihrem Zusammenwirken aber sich gegenseitig verstärken und eine kritische Masse bilden, die sich nun Bahn gebrochen hat. Mit anderen Worten: Einfache Erklärungen helfen uns nicht weiter, tragen zu keinem Erkenntnisgewinn bei.
Diese „einfachen Erklärungen“ bestimmen im Moment das in den Medien veröffentlichte Erklärungsmuster: Die Ablehnung der Globalisierung, der Zorn der weißen, ungebildeten Männer, Rassismus und Sexismus sind nur einige dieser Erklärungsformeln. In jeder von ihnen steckt ein Kern Wahrheit, jede von ihnen macht verständlich, wie das Unvorhergesehene geschehen konnte. Doch bleiben sie an der Oberfläche und dringen nicht in die tieferen Schichten der Veränderungsprozesse ein, die seit einem Vierteljahrhundert die gesamte westliche Welt erfasst haben.
Mit dem Ende der Ost-West-Auseinandersetzung und der Auflösung der Sowjetunion in den Jahren 1989 bis 1991 ist unser gewohntes Weltbild zu Grabe getragen worden: 45 Jahre lang wussten wir, wer die Guten und wer die Bösen sind. Wir im Westen gehörten zu den Guten, der Ostblock, der Kommunismus war das Böse schlechthin, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt, angefangen auf der Insel Kuba und endend in Nord-Korea. (Ich weiß, dass dies eine holzschnittartige Darstellung ist, ein vereinfachtes „Schwarz-Weiß-Denken“. Jeder nachdenkende und sich intellektuell gebende Mensch wird dagegen zahlreiche Einwände geltend machen können. Aber mir geht es hier um die Wahrnehmung der Bevölkerungsmehrheit.)
Stabilisiert wurde dieses Weltbild durch ständig steigenden Wohlstand in der westlichen Welt, der das Gefühl vermitteln konnte, es werde in Zukunft noch besser werden, unseren Kindern werde es besser gehen, wir können optimistisch in die Zukunft blicken. Zwar gab es schon erste Kratzer an diesem Bild vor 1989 – Stichworte hierzu sind „Grenzen des Wachstums“, Bevölkerungsexplosion, Waldsterben und Erdölkrisen –, aber in der Mehrheit der Bevölkerungen der westlichen Staaten blieb das Wohlstandsversprechen erhalten. Die Löhne stiegen stärker als die Preise, die Arbeitszeit sank, 1989 konnte man sich bei geringerer Arbeitsbelastung mehr leisten als 1979 oder 1969.
Ab dem Jahr 1991 galt plötzlich dieses Weltbild nicht mehr: Russland als größter Nachfolgestaat der Sowjetunion steckte in einer schweren Wirtschaftskrise. Plötzlich musste man mit Spenden der russischen Bevölkerung helfen. Die angekündigte Friedensdividende – massive Einsparungen im Verteidigungssektor – wurde in Deutschland für den „Aufbau Ost“ benötigt, andere Länder waren in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt wie der zweite Golfkrieg 1990/91 oder Somalia ab 1992. Gravierender sind der Aufstieg Chinas zur neuen Wirtschaftsmacht, der endgültige Durchbruch der Globalisierung durch technische Revolutionen wie das Internet, das Mobiltelefon hin zum Smartphone, die Etablierung sozialer Medien sowie die Entfesselung des Bankenkapitals zu Investmentbanken. Schlimmer noch: Alle diese Veränderungen haben nicht zu einem neuen Weltbild geführt, das den Menschen hilft, die Vorgänge zu verstehen und einzuordnen, ihnen also Sicherheit vermittelt, sondern das Gegenteil bewirkt: Die Welt ist komplexer, undurchschaubarer, schwerer zu verstehen geworden. Dies verstärkt letztendlich ein Gefühl der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins.
Dies alles wäre vielleicht noch zu ertragen, wenn das alte Wohlstandsversprechen noch zählen würde. Aber seit Langem gilt auch dieses nicht mehr: Die Reichen werden immer reicher, der staats- und systemtragende Mittelstand immer kleiner, die Unterschichten, oft als Verlierer der Globalisierung bezeichnet, immer zahlreicher. Besonders stark ist dies heute in den Gesellschaften des südlichen Europas zu sehen, in Spanien, Portugal und Griechenland. Das Gefühl, für die normale Bevölkerung werde nichts unternommen, greift um sich, die Angst, es in Zukunft schlechter zu haben, erfasst mittlerweile nennenswerte Anteile der Gesellschaften aller westlichen Staaten.
Verstärkt wird diese Empfindung noch durch zwei weitere Entwicklungen: Die so genannte „political correctness“ verhindert, dass man ungehindert seine Ansichten und Meinungen sagen darf, ohne sofort als rechtsradikal verurteilt und abgestempelt zu werden. Besonders ausgeprägt ist dies in den etablierten Medien wie Presse und Fernsehen. Nur noch im Internet, so entsteht der Eindruck, darf ich noch sagen, was ich denke. (Ich weiß, dass es Grenzen der Meinungsfreiheit geben muss, dass man andere Menschen nicht beleidigen, bedrohen oder verunglimpfen darf. Doch hier geht es wiederum um die Empfindung, die Teile der Gesellschaft mittlerweile haben.)
Der zweite Bereich betrifft das Agieren der so genannten etablierten Politik in den Parlamenten und Regierungen. In allen westlichen Demokratien greift das Gefühl um sich, Politik werde nur noch für Interessengruppen, Lobbyisten und Superreiche gemacht und nicht mehr für „Otto Normalverbraucher“. Mir ist bewusst, dass sich für jedes der nun folgenden Beispiele gute Gründe und Argumente anführen lassen. Doch entkräften diese Argumente nicht das entstandene Gefühl, es handele sich um parteipolitisch motivierte Klientelpolitik. Dazu drei Beispiele aus dem Bereich der Bundesrepublik in diesem Jahr 2016:
1. Während Verbraucher in den USA große Entschädigungszahlungen des Volkswagenkonzerns wegen des Betruges und der Täuschung im Abgasskandal um Dieselfahrzeugen erhalten, gehen die betrogenen Kunden in Europa (auch in Deutschland) leer aus. Die Unternehmensleitung erklärt dazu, der Verbraucherschutz in Europa sei eben anders geregelt. An der Unternehmensführung ist das Land Niedersachsen und damit die Landespolitik mit 20 Prozent beteiligt, Verbraucherschutzgesetze werden von den Parlamenten gemacht. Wenn sie so schlecht sind, dass betrogene Verbraucher nicht entschädigt werden müssen, dann stellen sie kein Ruhmesblatt für die Politik dar.
2. Im Aufstellen eines Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2017 fordert die CSU eine Erhöhung der Mütterrente. Schon die Ausweitung der Mütterrente zu Beginn der Großen Koalition auf Wunsch der CSU und die Einführung der Rente mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahren auf Wunsch der SPD werden die Rentenkasse in Zukunft gewaltig belasten. Weitere Wahlgeschenke an Rentner werden die Finanzen der Rentenversicherung noch mehr ins Ungleichgewicht bringen. Die Menschen spüren, dass sie am Ende die Zeche werden bezahlen müssen, entweder durch längere Lebensarbeitszeit oder durch weiteres Absenken des Rentenniveaus. Am Kernproblem zukünftiger Altersarmut ändern die Maßnahmen auch nichts. Bei der Mütterrente ist mittlerweile bekannt, dass sie den wohlhabenden Schichten mehr zugute kommt als den ärmeren.
3. Die vorgesehene Einigung für einen Klimaschutzplan der Bundesregierung wurde gerade wieder vertagt, weil es unzumutbare Belastungen für den Braunkohlebergbau bedeuten würde. Der Vorschlag des Bundesrates, ab 2030 keine Verbrennungsmotoren bei Personenkraftwagen mehr zuzulassen, wurde sofort mit dem Hinweis, das vernichte die deutsche Autoindustrie mit hunderttausenden Arbeitsplätzen, zu den Akten gelegt. Die Folgen des Klimawandels, mehr Stürme, Überschwemmungen, Dürren, mehr Migration auch nach Europa hin, spielen bei dieser Klientelpolitik offensichtlich keine Rolle, allen Beteuerungen zum Klimaschutzabkommen zum Trotz.
Alle drei Beispiele steigern die Angst bei den Menschen vor der Zukunft, das Gefühl des Ausgeliefert-seins und die Empfindung, die Politik werde für die Mächtigen gemacht aber nicht mehr für die Bevölkerungsmehrheit. Sobald diese Stimmungslage eine kritische Masse erreicht hat, wird sie sich Bahn brechen bei der jeweils nächsten anstehenden Wahl: In den Niederlanden sind im Frühjahr 2017 Parlamentswahlen, in Frankreich im Mai 2017 Präsidentschaftswahlen, und in Deutschland finden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017 und Bundestagswahlen im September 2017 statt. Gut möglich, dass dann Ergebnisse verzeichnet werden, die uns genauso überraschen wie die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA.
Es scheint, als wäre heute überall in den westlichen Demokratien das gesamte etablierte politische System in Frage gestellt. Kann es der Krise Herr werden, kann es sich so reformieren und anpassen, dass es auch in Zukunft als das politische System bezeichnet werden kann, oder erleben wir das Ende der bisher bekannten Demokratieform und die Geburt von etwas völlig Neuem? Diese Frage lässt sich heute nicht eindeutig beantworten. Niemand kann genau vorhersagen, wann das Gefühl in der Bevölkerung die kritische Masse erreicht haben wird, die das System hinwegfegen kann. Mit der Wahl Donald Trumps ist das Auswahlverfahren für das Amt eines Präsidenten in den USA ad acta gelegt worden, nicht aber das Wahlsystem zu den beiden Häusern des amerikanischen Kongresses. Es wird von den handelnden Politikern abhängen, wie sie auf diese neue Situation reagieren. So lautet die eigentliche Frage nicht „Quo vadis, Amerika?“, sondern „Quo vadis, westliches Demokratiemodell?“. Uns allen steht eine spannende Zukunft bevor.
Bernd Neufurth

© Rainer Sturm, pixelio.de

© Rainer Lück, CC BY-SA 3.0 de

© Jürgen Matern, CC BY-SA 3.0 de
Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Oder: Unsere Demokratie funktioniert
Auf den ersten Blick scheint es spannendere Themen zu geben als die Erbschaft-, Schenkung- und Vermögensteuern. Doch das täuscht und die Gestaltung dieser Steuerarten ist für Privatpersonen, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft wichtig. Vor dem Hintergrund anstehender Wahlen nehmen sich die politischen Parteien dieser Themen nun wieder verstärkt an. So fordern z. B. Die Grünen aktuell die Einführung einer Vermögensteuer für Superreiche.
Hintergrund: Die klassische Vermögensteuer gibt es in Deutschland aktuell nicht, auch wenn einige Steuerarten als eine Art Vermögensteuer angesehen werden können, weil sie wie die Vermögensteuer die Substanz besteuern.
Die Erbschaftsteuer gibt es seit 1906 (flächendeckend in ganz Deutschland). Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sie eine lange Geschichte hat und z. B. bereits Anfang des zweiten Jahrhunderts in Ägypten und seit dem Jahr 8 n. Chr. in der römischen Republik erhoben wurde. Die Erbschaftsteuer richtet sich nach der erhöhten steuerlichen Leistungsfähigkeit des Erben. Auch die Einkommensteuer basiert darauf. Insofern haben Erbschaft- und Einkommensteuer eine ähnliche, sprich umverteilende Wirkung und sollen für mehr ökonomische Gerechtigkeit sorgen.
Dem Autor geht es nicht um die umfassende und detaillierte Darstellung der Steuerregelungen. Vielmehr sollen einige grundsätzliche Argumente, Wirkungszusammenhänge und Überlegungen die Bedeutung und Funktion der Erbschaft- und Schenkungsteuer verdeutlichen. Jedes Jahr werden in Deutschland über 200 Milliarden Euro vererbt, worauf in 2015 nur etwas mehr als sechs Milliarden Steuern gezahlt wurden. Das sind rund drei Prozent der Erbmasse. Der Grund für diese vergleichsweise geringe Summe sind die hohen Freibeträge, die der Gesetzgeber den Erben einräumt. Eine Tochter, die beispielsweise 500.000 Euro von ihrem Vater erbt, versteuert de facto 100.000 Euro, da für sie ein Freibetrag von 400.000 Euro gilt. Die Steuer beträgt – bei einem Steuersatz von 11 Prozent – in dem konkreten Fall also 11.000 Euro. „Vorgezogene“ Schenkungen, die die Erbmasse und die darauf entfallenden Steuern verringern, sind in dem Zusammenhang kaum von Bedeutung, u. a. weil hier die gleichen Steuersätze und Freibeträge zur Anwendung kommen.
Gleichwohl werden diese Themen sehr kontrovers und mitunter sehr emotional diskutiert. Während die einen diese Steuern als Ausdruck von Gerechtigkeit und Chancengleichheit sehen, sind sie für die anderen Ausdruck einer reinen Neiddebatte und staatlicher Maßlosigkeit. Wenn aber sogar das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sich wiederholt dieser Themen annimmt und eine Neugestaltung einfordert, dann wird klar, dass es hier um mehr als nur um Neid geht.
Das BVerfG setzte der Bundesregierung bereits mehrfach eine Frist, bis zu der die Neuregelung der Erbschaftsteuer vollzogen sein sollte. Grund: Die alten/bestehenden Regelungen waren aus Sicht des Gerichts nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Insbesondere die „vergleichsweise geringe“ Besteuerung der Betriebsvermögen wurde vom Gericht bemängelt, kritisiert und für grundgesetzwidrig erachtet. Das war z. B. im Dezember 2014 so, und die Frist zur Nachbesserung wurde für den Gesetzgeber auf Juni 2016 festgesetzt. Das von der Bundesregierung neu eingebrachte Gesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht wieder als unangemessen und nicht grundgesetzkonform bewertet. Dieser Umstand macht die Komplexität des Themas deutlich. Er ist aber auch Ausdruck von sehr unterschiedlichen und gegensätzlichen Vorstellungen in unserer Gesellschaft.
Klar ist, der Staat braucht Geld, um seine Staatsaufgaben in vielfältiger Form erfüllen zu können, und zwar auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Klar ist auch, dass der Staat bei der Mittelverwendung geltende Gesetze einzuhalten und wirtschaftlich zu agieren hat. Ja, mitunter ist das Ausgabe- und Investitionsverhalten unsinnig und unwirtschaftlich. Das soll nicht sein, ist aber so, und wir alle kennen dafür Beispiele. Der Staat, das System und die handelnden Personen sind aber nicht per se ineffizient, unfähig oder korrupt! Ebenso wenig wie privatwirtschaftliches Engagement nicht per se gut, effizient und gewinnbringend ist. Allein das Beispiel der Deutschen Bank, dem ehemaligen Branchenprimus, macht dies mit vielen anhängigen Klagen und Rückstellungen in zweistelliger Milliardenhöhe deutlich. Das Schwarzweißdenken: „Der Staat ist schlecht, unfähig und verschwenderisch, die Privatwirtschaft ist zuverlässig, innovativ und erfolgreich.“ wird jedoch immer wieder kolportiert. Es mag einprägsam und einfach sein, ist aber gleichwohl falsch! Die jüngste Firmen- und Wirtschaftsgeschichte liefert dafür zahlreiche weitere Beispiele.
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat ebenso wie die Vermögensteuer zudem das Zeug zur Neiddebatte und zur heftigen öffentlichen Diskussion über Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit. Kommen Erben in einer Leistungsgesellschaft leistungslos zu Vermögen und Wohlstand? Ist dies nicht ein Widerspruch oder zumindest eine Ungereimtheit? Werden damit Strukturen gefestigt, die nicht nur fragwürdig sind, sondern auf Dauer zu wachsender Ungleichheit und Ungerechtigkeit führen? Welchen Beitrag haben Erben „erbracht“, wenn sie in eine reiche Familie geboren werden?
Wie bereits erwähnt stellte das BVerfG Ende 2014 fest, dass die geltenden Bestimmungen des Gesetzes mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Dieser garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung von Frau und Mann und verbietet Diskriminierung und Bevorzugung aufgrund bestimmter Eigenschaften. Die Richter Gaier und Masing sowie die Richterin Baer, die zwar der Entscheidung ebenfalls zustimmten, aber das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG zusätzlich als Begründung anführten, machten ihre abweichende Meinung deutlich: „Die Erbschaftsteuer dient nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen, sondern ist zugleich ein Instrument des Sozialstaats, um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert und allein aufgrund von Herkunft oder persönlicher Verbundenheit unverhältnismäßig anwächst. Dass hier auch mit Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit eine Herausforderung liegt, zeigt die Entwicklung der tatsächlichen Vermögensverteilung. Verwies schon Böckenförde in seinem Sondervotum zur Vermögensteuer für das Jahr 1993 darauf, dass 18,4 % der privaten Haushalte über 60 % des gesamten Nettogeldvermögens verfügten, lag dieser Anteil bereits im Jahr 2007 in den Händen von nur noch 10 %. Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik – nicht aber in ihrem Belieben.“
Die letzte/aktuelle Neuregelung der Erbschaftsteuer ändert für Privatpersonen nichts! Änderungen betreffen Firmenerben. Diese „bleiben privilegiert. Wer fünf Jahre lang weitermacht, Arbeitsplätze sichert (das heißt, eine bestimmte Lohnsumme erreicht) und dessen Erbe weniger als 26 Millionen Euro wert ist, dessen Betriebsvermögen wird zu 85 Prozent von der Erbschaftsteuer befreit. Wer es sieben Jahre schafft, zahlt wie bisher gar keine Steuer. Wer mehr als 26 Millionen Euro ´betrieblich´ erbt, muss nachweisen, dass ihn eine Erbschaftsteuer überfordert und gegebenenfalls sein Privatvermögen offenlegen und dafür verwenden. Ab 90 Millionen Euro gibt es keine Begünstigungen mehr.“ Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelungen den Ansprüchen des Grundgesetzes aus Sicht des Bundesverfassungsgerichtes genügen oder ob wieder eine Reform angemahnt wird.
So seltsam es sich anhören mag, so ist das mitunter zähe Ringen um eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer ein gutes Beispiel für das Funktionieren unserer Demokratie. In Zeiten von wachsendem Populismus ist es gut zu sehen, dass unsere Verfassungsorgane wie Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht im Zusammenspiel funktionieren und zu sachlich begründeten Ergebnissen kommen. Mag das Ergebnis auch eine Zeit auf sich warten lassen und manche Diskussion unnötig erscheinen, so ist doch gerade der Diskurs in den Medien, der Politik und Gesellschaft enorm wichtig und meinungsbildend. Der Weg und das Ergebnis sind völlig respektabel und Ausdruck einer ebenso gut funktionierenden wie gefestigten Demokratie und lebendigen Sozialen Marktwirtschaft.
Johannes Robert Kehren
Literaturhinweise/weiterführende Informationen
- Gerd Maas, Warum erben gerecht ist: Schluss mit der Neiddebatte.
- Julia Friedrichs: Wir erben. Warum Deutschland ungerechter wird.
- www.bundesverfassungsgericht.de
- www.smartsteuer.de
- SZ: Erben ist ungerecht
- Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD 4 –3010–055/16

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