Aktuelle Veröffentlichungen
Aus: Akademie Aktuell 2. Hj. 2020

Großsiegel der Vereinigten Staaten auf der Rückseite der 1-US-Dollar-Note, public domain, wkikimedia.org.

Foto: Climate_March_Edward-Kimmel_CC2.0, wikipedia.org

Foto: Aluhut Piratenmensch, flickr.com

Foto: Gesehen nach einer Demo für die Grundrechte anlässlich der staatlichen Maßnahmen bezüglich Corona, Alexander Hauk, CC 4.0, wikipedia.org

Das beste Mittel gegen Verschwörungsmythen und Manipulation war und ist INFORMATION
Wir leben in einer Zeit, in der uns Menschen noch nie so viel Wissen und Informationen zur Verfügung standen. Die Meilensteine auf diesem Weg waren u.a. die Erfindung der Buchdruckerkunst und die Digitalisierung mit Internet, E-Mail und den sogenannten Sozialen Medien. Menschen wie Edward Snowden und Julian Assange, die zudem geheime Informationen der Öffentlichkeit zugänglich machten, eröffneten uns noch mehr Informationsquellen und Einblicke.
Aber was nutzt all dies, wenn immer mehr Unwahrheiten, Fake News und Verschwörungsmythen verbreitet werden und diese offensichtlich immer mehr Anhänger finden? Wir könnten sogar von einem Informationsparadoxon sprechen: Je mehr Informationen, desto mehr verbreiten sich auch Unwahrheiten, Verschwörungsmythen und Gerüchte. Fast scheint es so, als ob die Menschen die komplexe und komplizierte Welt sowie die schiere Informationsfülle mit Hilfe von Fake News und Verschwörungsmythen für sich sortieren und damit handhabbar und somit für sich verständlich machen. Leute wie der amerikanische Präsident Donald Trump, Autokraten wie Ungarns Ministerpräsident Orban u.v.a.m. machen es uns doch vor. Das, was gestern noch gesagt wurde und galt, wird heute geleugnet, umgedreht und so manipuliert, dass es wieder ins eigene (Welt-) Bild passt. Konrad Adenauer sagte einst: „Was stört mich mein Geschwätz von gestern.“ Doch dies war seine Stellungnahme zu einem offenen Dissens, der nicht geleugnet wurde, sondern der angenommen und dann – zweifellos flapsig – von ihm kommentiert, aber auch erklärt wurde. Übertragen auf die aktuelle Kommunikationskultur der Narzissten und Autokraten hieße es heute vermutlich: „Ich werde falsch zitiert, das sind Fake-News!“ Es wird dreist gelogen, obwohl man Video- und Fernsehaufnahmen einspielen kann, die belegen, dass man seinen eigenen, früheren Aussagen klar widerspricht. Diese äußerst zweifelhafte und unmoralische Vorgehensweise führt tatsächlich zum „Erfolg“ – und gelingt inzwischen nicht nur Donald Trump in den USA.
Verschwörungsmythen und Manipulationen funktionieren vor allem dadurch, dass wir selektive Informationen serviert bekommen, die zu einer vermeintlich logischen, nachvollziehbaren Geschichte verarbeitet werden. Wenn die Halbwahrheiten nicht ausreichen, dann wird auch die Unwahrheit verbreitet; Hauptsache die Story überzeugt die Adressaten. Die unglaubliche Geschichte nimmt dann am ehesten Fahrt auf und gewinnt Anhänger, wenn die Aussage bzw. der Kern der Story deren eigenem Weltbild entspricht, sodass sie sich bestätigt sehen und verstanden fühlen. So finden Unzufriedenheit und Wut ein Ventil. Der wachsende Tenor: Dann muss das doch stimmen und „Ich habe es doch schon immer gewusst und auch schon immer gesagt“. Das Weltbild – so krude und unmöglich es auch sein mag – erhält so Nahrung, positive Energie und Bestätigung. Wenn dann noch über WhatsApp, Facebook und Co diese „Nachrichten“ in Windeseile verbreitet werden und später sogar die großen (öffentlichen) Medien darüber berichten, dann ist es aus Sicht der Verschwörungsanhänger endgültig kein Verschwörungsmythos mehr, sondern die Wahrheit. Wenn überhaupt noch Zweifel bleiben, dann sind es mindestens „alternative Fakten“. Die aktuell verrücktesten Ideen sind: Aluhüte schützen vor Gehirnwäsche und gedanklicher Manipulation, Bill und Belinda Gates streben nach der Weltherrschaft und das Corona-Virus ist nur ein Fake, oder haben Sie es schon gesehen bzw. einen an Covid19 Verstorbenen gesehen? Folglich braucht man auf einer Demo auch keine staatlichen Auflagen mehr zu beachten. Denn der Mundschutz sei kein Schutz, weil es die Pandemie (bei uns) nicht gibt, sondern angeblich das Zeichen der staatlichen Willkür und Bevormundung. Selbst einige katholische Bischöfe und internationale Würdenträger sehen allen Ernstes in den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus das Bestreben, eine Weltherrschaft zu errichten… Wenn dann noch Fernsehteams von ARD und ZDF sowie andere Journalisten auf offener Straße angegriffen und verprügelt werden, weil sie von Demonstrationen berichten oder im öffentlichen Raum Aufnahmen für eine Satiresendung machen, dann wird es wirklich bitter. Zudem besteht die reale Gefahr, dass diese Demonstrationen von extremen Gruppierungen und Parteien gekapert, unterlaufen und manipuliert werden, um sie für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. So wächst die Verunsicherung in der Bevölkerung und Vertrauen in das bestehende System geht verloren. Diese Mechanismen bedrohen unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und insbesondere unsere Demokratie.
Gut ist, dass derzeit eine deutliche Mehrheit der BürgerInnen nicht für diese Entwicklungen und Verschwörungsmythen empfänglich ist und dass unsere Demokratie und unsere Verfassungsorgane, die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft alles in allem einen guten und sachorientierten Job machen. Dennoch befinden wir uns in einer Bewährungsprobe, die ihresgleichen sucht. Desinformationen, Halbwahrheiten und „kreative“ Verschwörungsmythen sind nicht zu unterschätzende zusätzliche Belastungen zur Pandemie, denen wir alle entgegentreten können und sollten. Eine der besten Möglichkeiten besteht in einem konstruktiv kritischen demokratischen Denken und Handeln auf der Basis von Informationen. Stellen wir uns immer wieder die Fragen, wem die Thesen und Verschwörungen nutzen, welche Informationen dagegen sprechen und wer die Quelle ist.
Welche Rechtfertigung gibt es, Journalisten auf offener Straße zu verprügeln? Erst recht, wenn die Demonstranten für die Einhaltung der Bürger- und Freiheitsrechte demonstrieren. Das passt wie so vieles einfach nicht zusammen und sollte uns wach, aufmerksam und informiert kritisch sein lassen.
Johannes Robert Kehren
In diesem Zusammenhang empfehlenswert:
„Informiert euch! Wie du auf dem Laufenden bleibst, ohne manipuliert zu werden“ von Nina Horaczek und Sebastian Wiese, 2018.
„Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist“ von Hans Rosling und Ola Rosling, 2018.
„Wie Demokratien sterben – und was wir dagegen tun können“ von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, 2018.
Bundeszentrale für politische Bildung, https://www.bpb.de/gesellschaft/medien-und-sport/fake-news/308020/stopfakenews-fake-news-erkennen
https://digitalcourage.de
CORRECTIV - Recherchen für die Gesellschaft und mit der Gesellschaft https://correctiv.org/

Abb: Outbreak, Gerd Altmann, pixabay

Foto: KENNEDY SPACE CENTER, FLA. -- Noted physicist Stephen Hawking arrives at the Kennedy Space Center Shuttle Landing Facility; NASA/Kim Shiflett, public domain

Abb: Logo für Zivilschutz, EPO, public domain, wikipedia.org

Foto: Beirat des Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit, Jörg Rohne

Deutschland und der Katastrophenfall
Unter dem Damoklesschwert
Als im Januar der Ausbruch eines neuartigen Corona-Virus in China bekannt wurde und im Februar die Regierung mit radikalen Maßnahmen zur Eindämmung einer Epidemie in der Millionenstadt Wuhan begann, war dies für uns in Deutschland ein Ereignis im fernen Ostasien, das uns – wie viele Bilder aus den Nachrichten – vielleicht betroffen machte, im Grunde aber wenig anzugehen schien. Die staatlichen Reaktionen in der Volksrepublik sorgten mitunter sogar für Kopfschütteln, wurden als überzogene Akte eines diktatorischen Regimes kritisiert.
Innerhalb weniger Wochen ist aus einem lokalen Geschehen am anderen Ende der Welt eine globale Pandemie geworden, die das Leben und den Alltag nahezu der gesamten Weltbevölkerung tiefgreifend verändert hat. In kurzer Zeit war das Virus vor der eigenen Haustür und betraf uns plötzlich ganz unmittelbar. Vieles ist seitdem geschehen, es kam zu Szenarien, wie wir sie bislang nur aus Katastrophenfilmen kannten. Einigen erschienen die getroffenen Maßnahmen, die mit massiven Grundrechtseinschränkungen einhergingen, unverhältnismäßig, die meisten wünschten sich hingegen sogar noch schnellere und härtere Reaktionen. Krisen und Katastrophen sind immer die „Stunde der Exekutive“ und so schienen sich eine Zeitlang die Politiker in Deutschland und Europa – dabei durchaus die Forderungen ihrer eigenen Bevölkerungen im Blick – mit hemdsärmeligem Aktionismus überbieten zu wollen.
In der Politik sind immer unterschiedliche Interessen, Rechtsgüter, reale und hypothetische Gefahren gegeneinander abzuwägen. Was letztendlich richtig war, lässt sich oft nur im Nachhinein erkennen. Bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hat sich Deutschland für einen Mittelweg entschieden: Weniger restriktiv als in Italien oder Spanien, aber auch nicht so zwanglos wie in Schweden oder, anfangs, in Großbritannien. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge – beim Verfassen dieses Artikels im Mai 2020 – scheint dieser Weg erfolgreich gewesen zu sein. Das Gesundheitssystem ist nicht zusammengebrochen, die Sterblichkeitsrate ist im internationalen Vergleich niedrig, und Deutschland wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO als positives Beispiel gelobt.
Vieles wird in diesen Tagen geschrieben und kommentiert, aus juristischer, ökonomischer und soziologischer Perspektive. Zu allem gäbe es sicherlich viel zu sagen, zahlreiche Aspekte zu beleuchten. Hier soll es um ein Moment gehen, das sich etwas von den konkreten Ereignissen löst, vielmehr ein grundsätzliches Dilemma offenbart.
Unsere moderne globalisierte und hochvernetzte Gesellschaft ist bei weitem nicht so stabil, wie es den Anschein hat. Der wissenschaftlich-technologische Fortschritt und die durchgetaktete Effizienz von Lieferketten, Verkehrsströmen und anderer Infrastruktur suggerieren uns, dass alles immer komfortabler, ausgereifter und sicherer wird. Tatsächlich aber ist unsere Zivilisation so fragil wie nie zuvor in der Geschichte.
Der 2018 verstorbene Physiker Stephen Hawking hat gesagt: „Die meisten Bedrohungen entstehen durch die Fortschritte, die wir in den Bereichen Wissenschaft und Technologien machen“. Bezogen auf unsere hochgradig interdependenten Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft könnte man auch sagen: Je komplexer ein System ist, desto anfälliger wird es. Dabei ist es egal, ob die Bedrohungen durch Naturereignisse, technisches oder menschliches Versagen, terroristische Aktionen oder Sabotage ausgelöst werden.
Neben dieser Komplexität bzw. Störanfälligkeit ist ein weiteres Problem, dass viele Abläufe in unserer Gesellschaft darauf ausgerichtet sind, den normalen Alltag möglichst kostengünstig sicherzustellen, alles ist ein wenig auf Kante genäht, und wir leben weitgehend ohne Reserven und Redundanzen.
Eine Pandemie ist dabei sicherlich ein Beispiel für eine (je nach Art der Infektionskrankheit) existentielle und zugleich unmittelbare Bedrohung der Menschheit. Dass so etwas kommen wird, hat nicht nur Bill Gates im Jahr 2015 vorausgesagt. In der Bundesrepublik gibt es seit 2005 einen Nationalen Pandemieplan für Deutschland. Im Jahr 2007 lag ein derartiges Szenario der großangelegten Bund-Länder-Krisenmanagementübung LÜKEX zugrunde. Auch das Weißbuch 2016 beschreibt eine Pandemie als eine sicherheitspolitische Herausforderung.1 Zwar gilt immer noch der Satz von Helmuth von Moltke „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“2, dennoch ist es erstaunlich, wie wenig die Pläne auf dem Papier mit der tatsächlichen Infrastruktur, den tatsächlichen Möglichkeiten übereinstimmten (die Bevorratung mit medizinischen Gesichtsmasken oder Desinfektionsmitteln ist da nur ein kleines Beispiel).
Nach dem Ende des Kalten Krieges sind im Zuge der sogenannten Friedensdividende viele Strukturen des Zivilschutzes aufgelöst oder zurückgefahren worden. Der 11. September 2001 hat für ein kurzes Innehalten gesorgt, vieles ist jedoch nie wieder adäquat aufgebaut worden. Doch: „Die Herausforderungen sind größer denn je. Zunehmende Extremwetterereignisse, die Abhängigkeit von Kritischen Infrastrukturen oder die Bedrohung durch chemische, biologische, radiologische oder nukleare Gefahren: Sie alle sind Teil der im Bevölkerungsschutz zu berücksichtigenden potentiellen Bedrohungen.“3
Auch die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht es mit relativ einfachen Mitteln, unsere kritische Infrastruktur, wie z.B. die Energieversorgung, empfindlich zu stören.4 Die Folgen eines großflächigen Stromausfalls in Europa hat Marc Elsberg 2012 in seinem Roman „Blackout“ sehr anschaulich und detailliert beschrieben. Sicherheit zu generieren ist die Kernaufgabe des Staates. Man kann von ihm, seinen gewählten Amtsträgern und seinem Verwaltungsapparat erwarten, dass sie in „Worst-Case-Szenarien“ denken, sich auch mit Themen beschäftigen, die nicht im Fokus der öffentlichen bzw. medialen Aufmerksamkeit stehen. Auch wenn es mitunter schwer zu vermitteln ist, Geld für Dinge auszugeben, die man (hoffentlich) nie brauchen wird.
Angst ist niemals ein guter Ratgeber, das Motto „irgendwie wird es schon gutgehen“ allerdings auch nicht. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass der Strom aus der Steckdose kommt, die Regale im Supermarkt immer gefüllt sind, das Internet uns mit jeder nur erdenklichen Information versorgt und immer ein Platz im Krankenhaus zur Verfügung steht.
Im Jahr 2009 haben im Rahmen des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit – eine überfraktionelle Initiative des Deutschen Bundestags – vier Abgeordnete ein sogenanntes „Grünbuch“ zu Risiken und Herausforderungen für die öffentliche Sicherheit in Deutschland herausgegeben. In diesem wird sehr gut zusammengefasst, wie die Wahrnehmung von Bedrohungen in der Gesellschaft zustande kommt, die oft nicht mit den realen Risiken korrespondiert: „Einerseits herrscht eine misstrauische, ängstliche oder gar alarmistische Grundstimmung bei Bevölkerung und Medien, wenn es um die Themen Terrorismus und Gewaltdelikte geht. Andererseits werden Risiken durch Infrastrukturausfälle oder Organisierte Kriminalität kaum thematisiert, sondern eher ignoriert oder unterschätzt. Permanente technische Innovationen, ein hohes Schutzniveau im Bereich der alltäglichen Gefahrenabwehr, die selbstverständliche jederzeitige Verfügbarkeit von Kommunikationsmitteln und hohe Rechtsstandards suggerieren Sicherheit. Tatsächlich wächst aber die Verwundbarkeit gerade durch weniger offensichtliche, schleichende Risiken und die Verkettung krisenhafter Ereignisse.“5
Wenn wir am Ende den Bogen wieder zurück zur gegenwärtigen Corona-Krise schlagen, soll eine andere, wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, welche der Schweizer Virologe Prof. Paul Vogt folgendermaßen formuliert: Er spricht vom „‚Überlegenheitsgefühl‘ des Westens mit seinen ‚besten Gesundheitswesen der Welt‘. Wir reden nur noch von Globalisierung, Big Data, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz und schauen ins Silicon Valley. Dabei haben wir verpasst, dass gewisse Länder in Asien fortschrittlicher sind und eine Pandemie um Welten effektiver zu managen wissen. Die allgemeine Sterblichkeit in Südkorea ist 20% niedriger als in der Schweiz und dies bei nahezu identischem Altersdurchschnitt. Ja, initial war diese ‚Epidemie‘ weit weg, dachten wir. Und uns, ‚die Guten‘ wird es mit Bestimmtheit nicht treffen; […].“6
Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen in Politik, Staat und Gesellschaft – letztendlich wir alle – aus der noch andauernden Krise in dieser Hinsicht die richtigen Schlüsse ziehen, damit uns unsere Sorglosigkeit, Kurzsichtigkeit und Überheblichkeit nicht irgendwann gewaltig auf die Füße fallen.
Christian Hesse
1 „Das Wachstum der Weltbevölkerung in Verbindung mit zunehmender globaler Mobilität fördert die weltweite Verbreitung von Krankheiten und Seuchen sowie den Ausbruch von Pandemien. Bereits das lokale und begrenzte Auftreten besonders ansteckender Erreger kann Strukturen überfordern und den Zusammenbruch medizinischer Versorgung oder staatlicher Ordnung bewirken. Regionale Destabilisierung kann die Folge sein.“ Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr, S. 44.
2 Das Originalzitat lautet: „Kein Operationsplan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit der feindlichen Hauptmacht hinaus“. In: von Moltke: Über Strategie, 1871.
3 60 Jahre Zivilschutz in Deutschland – so aktuell wie nie. Pressemitteilung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, 2018.
4 „Mit der Digitalisierung moderner Gesellschaften wachsen zugleich deren Verwundbarkeit und das Missbrauchspotenzial im Cyber-Raum. […] Erfolgreiche Angriffe können gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und auch persönliche Schäden verursachen. Angriffe auf staatliche Institutionen mit dem Ziel der Ausspähung oder Sabotage können die Funktionsfähigkeit von Verwaltung, Streitkräften und Sicherheitsbehörden erheblich beeinträchtigen und damit Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland haben.“ Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland, 2016, S. 7.
5 Grünbuch des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit, 2009, S. 10. Zum Schlüsselszenario Seuchengeschehen in Deutschland wird im Fazit u.a. Folgendes resümiert: „Eine einheitliche überregionale Notfallplanung, die eine grundsätzliche Strategie der Abwehr einer Pandemie umfasst, ist nicht vorhanden. Das erschwert ein Krisenmanagement auf allen Ebenen. Es bleibt offen, ob bei einer deutschlandweiten Seuche die derzeitigen föderalen Strukturen des Gesundheitswesens und des Katastrophenschutzes die geeignete Organisationsform sind.“, S. 42.
6 COVID-19 – Update von Prof. Dr. Paul R. Vogt, die Mittelländische Zeitung vom 20. April 2020.
Aus: Akademie Aktuell 1. Hj. 2020
Digitalisierung und Datenschutz
Das Planspiel TopSecret
Digitales ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Wie selbstverständlich gehen die meisten Menschen nicht nur mit dem Smartphone und seinen neuen Kommunikationsmöglichkeiten um, auch Einkäufe im Internet, Online-Banking oder bargeldloses Zahlen gehören zu den alltäglichen Annehmlichkeiten. Es ist auch so einfach und schnell, Dinge im Internet bei Google zu recherchieren oder sich Filme bei Youtube anzusehen. Zugleich verbergen sich hinter all diesen Bequemlichkeiten die Schattenseiten der Digitalisierung, die u. a. mit dem Stichwort „Gläserner Mensch“ – wenn auch nur in Teilen – beschrieben werden können. Wir zahlen für Komfort mit unseren Daten. Und es werden immer mehr: „90 Prozent aller heute auf der Welt existierenden Daten wurden in den letzten zwei Jahren generiert. Jeden Tag kreieren wir zweieinhalb Mal so viele Daten, wie wir 2004 im Monat im gesamten, globalen Internet bewegten“, schreibt der Wissenschaftsjournalist Rudi Klausnitzer in seinem Buch „Das Ende des Zufalls: Wie Big Data uns und unser Leben vorhersagbar macht“.
Ein Seminarteilnehmer definierte vor diesem Hintergrund Datenschutz als die Möglichkeit, über seine eigenen Daten selbst zu bestimmen. Das können wir nach wie vor an vielen Stellen – mit der Konsequenz, dass manche Internetdienste ohne Preisgabe nicht nutzbar sind. Die Entscheidung, ob wir mit unseren Daten zahlen oder nicht, liegt bei uns. Und dabei denke ich nicht nur an Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Twitter, sondern auch an Payback-Karten, bei denen jeder Einkauf im Detail personenbezogen gespeichert wird. Oder Bestellungen im Internet, bei denen der Algorithmus mir sogleich passende Zusatzprodukte anbietet bzw. mir bei meinem nächsten Besuch interessante Neuigkeiten aufzeigt. Praktisch, nicht wahr? Und zugleich werden wir gläsern. So wusste eine Supermarktkette in den USA durch Sammeln der Kundendaten frühzeitig, dass eine junge Frau schwanger war. Ihre Eltern ärgerten sich über die Werbung für Windeln und Babybrei – ihnen hatte die junge Frau es noch nicht gestanden …
Konzerne wie Facebook und Google machen mit diesen Daten und der daraus resultierenden personalisierten Werbung Milliardenumsätze. So setzte Facebook im 3. Quartal 2019 17,7 Mrd. US-Dollar um, der Gewinn lag bei 6,1 Mrd. US-Dollar (Die Zeit online, 31.10.2019). Google setzte im 3. Quartal 2019 33,9 Mrd. US-Dollar allein mit Werbung um (www.de.statista.com, 04.11.2019). Unsere Daten sind nicht nur für uns wertvoll.
Die Seminareinheit zum Thema Digitalisierung / Datenschutz setzt sich mit diesen Phänomenen auseinander. Welche Daten gebe ich preis, welche möchte ich lieber schützen? Auch in Unternehmen spielt der Umgang mit Daten eine wichtige Rolle: Passwörter für das Intranet mit sensiblen Firmendaten sind ebenso zu schützen wie andere Informationen aus dem Firmenumfeld.
Methodisch kommt u. a. ein Augmented-Reality-Game (Erweiterte Realität) zum Einsatz. Im Unterschied zur virtuellen Realität, bei der die Nutzenden komplett in eine andere, künstliche Realität eintauchen, wird die Realität in diesem Fall nur durch digitale Komponenten ergänzt. Beim Spiel TopSecret finden digitale Verschlüsselungsmethoden Anwendung, es wird gechattet, gemailt und Filme werden abgespielt. Angelehnt an so genannte Escape-Room-Spiele steht auch bei TopSecret eine begrenzte Zeit zur Lösung des Problems zur Verfügung. Ziel des Spiels ist es, einen spielerischen Zugang zum etwas abstrakten und gefühlt auch recht trockenen Thema Datenschutz zu erhalten. Eingebettet in Übungen zum Umgang mit eigenen Daten zeigt das Spiel unterschiedliche Möglichkeiten des Schutzes eigener Daten auf. Menschen sollen durch die Arbeitseinheit befähigt werden, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und sich der Risiken bewusst zu sein: eine unverzichtbare Grundvoraussetzung für die Teilhabe an der digitalen Welt.
Ines Gerke-Weipert

Jede Stimme zählt
Die vergangene Landtagswahl in Thüringen, die in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte und für viele auch unerwünschte Ergebnisse zeitigte, macht deutlich, dass in einer Demokratie jede Stimme zählt. Vor allen Dingen dann, wenn sich der Wählerwille an der Wahlurne manifestiert.
Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis für die FDP. Diese hat nach dem offiziellen vorläufigen Ergebnis exakt eine Stimme mehr als erforderlich, um die 5-Prozent-Hürde zu nehmen. Landesweit bekam die FDP demnach 55.422 Stimmen, was einem Stimmenanteil von 5,0005 Prozent entsprach. Das Ergebnis ist natürlich aus Sicht der FDP erfreulich, zumal sie 1994, 1999, 2004 und 2014 den Einzug in den Thüringer Landtag verpasste. Das amtliche Endergebnis elf Tage später ergab nach Überprüfungen und Korrekturen dann ein Ergebnis, bei dem die FDP 73 Stimmen über der erforderlichen Hürde von 5 Prozent lag. Das ist immer noch ein hauchdünnes Ergebnis; wenige Stimmen machten diesmal den Unterschied, um entweder im Landtag vertreten zu sein oder nicht. Darüber hinaus: Hätten also einige BürgerInnen weniger die FDP gewählt und hätte sie damit den Einzug in den Landtag nicht geschafft, dann nähme die Zahl der Abgeordneten bei den anderen Landtagsfraktionen entsprechend zu; sie würden dadurch weiter gestärkt.
Wenige Wählerstimmen entschieden mithin auch über die konkrete Verteilung der Mandate im Thüringer Landtag.
n der Geschichte der Demokratie gibt es immer wieder solche Beispiele, die zeigen, dass es auf einzelne oder einige wenige Stimmen ankommt. Denken wir z. B. nur an die Wahl Konrad Adenauers zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, als er bei der Abstimmung im Bundestag für sich selbst votierte und nur mit (s)einer Stimme die erforderliche Mehrheit erhielt. Andererseits hören wir auch in den Seminaren immer wieder die Meinung, dass man nicht zur Wahl gehe, weil die eigene, einzelne Stimme doch gar nicht ins Gewicht fiele und man daher auch nicht zur Wahlurne zu gehen brauche. So redet man sich klein und demokratiefaul bzw. wahlmüde. Die Wahlergebnisse in Thüringen sprechen da eine andere Sprache, wie auch das Beispiel von Greta Thunberg, die anfangs alleine an einem Freitag die Schule bestreikte, um mehr gegen den Klimawandel zu bewirken und dieses Handeln in einer weltweiten Massenbewegung mit „Fridays for Future“ mündete.
Erfreulich ist die gestiegene Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre bei (fast) allen Wahlen in Deutschland. Dazu haben nach Wahlanalysen auch die „neuen“ Parteien und das gestiegene Engagement z. B. in den Themenfeldern Umwelt, Tierschutz und Demokratie beigetragen. Gut so!
Wir sehen: Jede Stimme zählt bzw. die Wahlbeteiligung und das Ergebnis hängen von jedem von uns ab! Mehr noch: Das, was sich in unserem Land, in Europa und der Welt tut, hängt auch von unserem/meinem konkreten Verhalten, unseren Diskussionen, unserer Aktivität und unserem Engagement ab. Somit haben wir mehr Einflussmöglichkeiten und Verantwortung als viele glauben; erst recht in einer Zeit der Digitalisierung mit sozialen Netzwerken, zahlreichen frei zugänglichen Informationsquellen im Internet und weltumspannender Kommunikation.
Johannes Robert Kehren

Foto: Andol / Wikipedia / CC BY-SA 4.0

Foto: Fyrtaarn / Wikipedia / CC BY-SA 3.0

Foto: Screenshot von https://www.youtube.com/watch?v=4Y1lZQsyuSQ

Abb: Wikipedia/ gemeinfrei / Quelle konvertiert von Marsupilami

Denken im Ganzen
Klima, Parteien und der Impuls der Jugend
Realpolitik gegen Idealismus, Vergangenheit gegen Zukunft, Abwarten gegen Demonstrieren. Die, die Macht haben, gegen die, die Macht fordern. Das sind nur einige Gegensätze, mit deren Hilfe man eine Unterscheidung des politischen Selbstverständnisses zwischen Jung und Alt treffen könnte. Diese Zuweisungen wären zwar in der Realität nicht durchhaltbar, in Klimafragen sind sie dennoch beobachtbar. Denn gerade weil die Klimakrise ein Menschheitsproblem eigener Art darstellt, fällt es Politik und Öffentlichkeit zunehmend schwerer, mit ihr umzugehen. Dass unser Planet in der Klimakrise steckt, ist nicht einfach nur ein Thema. Denn die Erde ist nun mal Voraussetzung für alles, für Mensch, Natur und auch für die Wirtschaft, die wir so heiligen. Politik muss hier also mit etwas umgehen, was sie bisher kaum kannte. Die Klimakrise kann zwar demokratisch verhandelt werden, nur mit der Natur, mit nicht verhandelbaren physikalischen Realitäten, lässt sich eben nichts besprechen. Zahlreichen Klimaexperten folgend ist die Krise zwar menschengemacht, aber es gibt keinen Feind, keinen Verursacher mit Namen und Adresse, oder wenn doch, dann erblicken wir ihn jeden Morgen im Spiegel. Der Zeit-Online Kommentator Bernd Ulrich stellt zu recht fest, dass der politische Druck für klimafreundliches Wirtschaften, der jetzt spürbar ist, sich aus den oben genannten Gründen nicht in der medialen Öffentlichkeit entfaltete, sondern der Anstoß zum Klimarealismus außerhalb des politischen Establishments entstand:
Es waren die Aktivistinnen von Fridays for Future und die revolutionäre Kraft eines 55-Minuten-Youtube-Videos, in welchem der Youtuber Rezo kurz vor der Europawahl 2019 ein regelrechtes Manifest der Klarheit zur Unglaubwürdigkeit politischen Handelns in Klimafragen vorlegte. Der Vorwurf: Untätigkeit in der Klimapolitik zerstört unser aller Leben. Rezo verfasste eine politisch direkte Rede: Professionell, authentisch und rhetorisch äußerst gewandt vorgetragen, untermauert mit über 250 Quellen und Expertenmeinungen, online recherchierbar über eine bereitgestellte Infobox. Ein Video, im Mai 2019 veröffentlicht, und seither über 16 Millionen Male angeklickt. Ein Einzelner, der sich mit einem dringlichen Anliegen über einen allen zugänglichen Kanal Gehör verschaffte.
Auf der anderen Seite eine staatstragende Partei, die nahezu ratlos bis panisch reagierte, die daraufhin, so der Zeit-Online Kommentator Johannes Schneider, „alle Kritik diskreditiert, verschleppt, verhöhnt, verschweigt und aussitzt“. Bedeutende sachliche Diskussionen waren kaum zu hören. Einer ausgewogenen demokratischen Auseinandersetzung zu einem solch wichtigen Thema hilft das nur wenig. Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Komik mit anzusehen, wie Politiker dann die Pfade der tausendfach abgestimmten Kommunikation verlassen mussten und daran kläglich scheiterten. Wie sie versucht haben, in einer medialen Auseinandersetzung zu bestehen, die sie aufgrund ihrer eingespielten Rollen nicht gewinnen konnten. Denn es geht hier nicht um die Verteidigung eines politischen Standpunkts, eine Rechtfertigung der eigenen Haltung oder darum, verbliebene Prozente einzusammeln. Es geht jetzt um die Sache oder wie Thomas Oberender es ganz treffend im Berliner Tagesspiegel auf den Punkt brachte: „Es geht um dieses „Dritte, uns Gemeinsame, die Erde, das Klima, und die soziale Frage. Es geht nicht um Wahlkampf-Vokabeln […]. Es geht nicht darum, wer abgelöst und ausgetauscht wird, sondern um die Dringlichkeit der Sachfrage. Wer sich jetzt selbst zu retten versucht, wird verlieren.“ Es geht auch nicht um das Scheitern einer Partei, angemessen auf die im Video vorgebrachten Vorwürfe zu reagieren.
Nein, das Rezo-Video offenbart ein grundsätzliches Problem der parlamentarischen Demokratie im digitalen Zeitalter. Es offenbart, so Schneider, die Unmöglichkeit, dem millionenfach vergrößerten Charisma des Einzelnen aus einer Partei heraus etwas entgegenzusetzen, „das zugleich als repräsentativ für diese Partei wahrgenommen wird und gleichzeitig Augenhöhe mit dem Individuum herstellt. Was soll eine Partei in so einer Lage machen? Kaum jemand von den etablierten Parteien war bislang in der Lage, wirklich adäquat auf dieses Video zu antworten. Junge Menschen, die besonders von der Klimakrise betroffen sein werden, treten mit einer völlig anderen, global bezogenen Agenda, die uns als Erdbewohner auf Zeit mit Pflichten begreift, auf die öffentliche digitale Bühne.
Der Erfolg von Greta Thunbergs Initiative Fridays for Future und Rezos geht auf ihren direkten unnachgiebigen Fokus auf das Klimaproblem zurück. Sie gehen einfach nur von ihrem gesunden Menschenverstand aus und setzen ihre jugendliche Authentizität als entlarvendes Instrument ein. Die Legitimität dieser Form von politischem Aktivismus steht überhaupt nicht zur Debatte, bedrohlicher erscheint der gesellschaftliche Zustand, der mit der hier stattfindenden Polarisierung zwischen Jung und Alt einhergeht. Die riesige Gruppe junger Menschen, die von der Klimakrise besonders betroffen sein wird, ist in der Parteiendemokratie in höchstem Maße unterrepräsentiert.
Die hilflosen Reaktionen der etablierten Parteien werfen zudem die noch größere Frage auf, was zuerst kaputtgeht, die Umwelt oder die Parteiendemokratie.
Andererseits, so wichtig die Impulse von Rezo und Thunberg auch für den öffentlichen Diskurs sind, sollte man sie zur richtigen Zeit aus ihren Rollen entlassen, nicht quasireligiös medial überhöhen: sozusagen von der Personenorientierung wieder auf die wirklichen Sachfragen übergehen. Politiker hoffen, durch Widerlegung der Klimaschützer den Handlungsdruck zu lindern. Das kann nur schiefgehen. Man diskutiert über Nebenfragen, ob Klimaschützer selbst konsequent leben, über die Segelreisen von Greta, die blaue Locke von Rezo oder über die möglichen Motive und Auftraggeber der Youtuber-Szene.
In seinem mit dem NDR-Sachbuchpreis ausgezeichneten Buch „Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können“ schreibt der Eaton-Professor Daniel Ziblatt für Regierungswissenschaft an der Harvard University: Eine „Politik ohne Leitplanken“, ohne Grundwertorientierung schadet der Demokratie.
Wo es keine Achtung, keinen Respekt, keine Demut, kein wirkliches Zuhören und keinen sachlich ethischen Diskurs mehr gibt, wo soziale Gruppen und Generationen kommunikativ kaum mehr miteinander in Berührung kommen, dort wird der Nährboden für systemfeindliche Gruppen, die die demokratischen Regeln ganz ablehnen, größer.
Auf die Frage, ob radikaler Klimaschutz noch demokratisch sei, kann man dennoch nur antworten: Wenn die Klimakrise so gewaltig ist, wie die erdrückende Mehrheit der Klimaforscher behauptet, dann bleibt eben nur noch die Freiheit des Menschen, endlich Einsicht in die Notwendigkeit des Klimaschutzes zu bekunden. Denn bedroht ist in erster Linie die Freiheit, mit der Natur umzugehen, wie es uns gerade passt. Diese Freiheit ist heute nicht mehr leicht zu rechtfertigen, sie passt auch nicht mehr in unsere Zeit.
he Willensbildung nicht zu umgehen. Denn wenn alle gehört werden, sind die Ergebnisse sozial robuster, sie bewähren sich dann auch in schwierigen Situationen (siehe Kohleausstieg). Doch einfach nur miteinander zu reden genügt nicht. Man braucht Leitplanken, ein Ziel, also den wirklichen Willen zu einer politischen Entscheidung, und ein allgemein akzeptiertes Verfahren, wie man zu dieser Entscheidung gelangen kann. Wir brauchen keine kleinen rhetorischen Korrekturen, um den Status Quo zu halten. Zudem braucht es im digitalen Zeitalter umso mehr Regeln für den Dialog. Regeln, die garantieren, dass niemand Angst haben muss, das Wort zu ergreifen. So lässt sich sicherstellen, dass alle Seiten gehört werden. Es braucht den Druck der Bürger/innen, es braucht Menschen wie Rezo und Thunberg, die glaubhaft und überzeugend Impulse setzen, sich dann aber auch wieder zurücknehmen können. Denn demokratisch zu klärende Sachthemen dürfen sich nicht nach dem Aktivismus von Einzelpersonen ausrichten oder nur an diesen orientieren. An dieser Stelle sind auch die Medien in der Verantwortung. Es muss eine wirkliche breite Debatte in Gang gesetzt, zukunftsfähige Leitlinien für eine ernst gemeinte klimafreundliche Politik geschaffen und über Entscheidungsspielräume diskutiert werden. Es muss offen darüber gesprochen werden können, welchen Beitrag jeder einzelne Bürger im Idealfall dafür zu leisten hat. Wir müssen wieder lernen von einer Welt zu träumen, in der nachhaltige Werte auch wirklich gelebt werden. Es sollte sorgfältig darauf geachtet werden, welche Fragen gestellt werden. Nicht Fragen, die jeder anders deutet, und die jeden dazu bringen, die eigentliche komplexe Antwort auf die Klimakrise zu verstecken, sie einzumauern hinter den eigenen milieu- und parteipolitischen Rechtfertigungsbausteinen.
Zur Stärkung der Demokratie muss sich eine sich über alle Bevölkerungsgruppen erstreckende sach- und verantwortungsorientierte Diskussionskultur entfalten können. Die Basis hierfür muss schon in den Kindergärten und den Schulen gelegt werden.
Der außerparlamentarischen Opposition von Protestbewegungen zu Klimafragen sollte von politischer Seite nicht feindselig und herablassend, sondern mit Demut und Respekt begegnet werden. Vielen Problemen, denen sich heute Milliarden Menschen zu stellen haben, können nur in globaler Form, also für die ganze Welt und auch nur auf diese Weise begegnet werden. Unsere demokratische Gesellschaft ist somit auf Grundwerte angewiesen. In diesem Sinne sollten die Forderungen junger Menschen nach einer klimafreundlichen Politik von den etablierten Parteien sehr ernst genommen werden. Denn nur wenn die regulative Leitidee der Nachhaltigkeit als politischer Grundwert eine breite Resonanz erfährt, eben auch zur Überzeugung des Einzelnen gehört, könnte der politisch-diskursive Kommunikationsfaden zwischen den Generationen wieder glaubwürdig aufgenommen werden. Dazu braucht es aber nicht nur echten politischen Willen, sondern eben auch authentische und sachlich orientierte Gesprächsangebote. Routinierte Ja-aber-Sager und entseelte Kommunikationsstrategen sollten hier deutlich ihre Grenzen mit Hilfe ethischer Argumentation und wissenschaftlicher Expertise aufgezeigt bekommen. Man braucht nur die gegenwärtige Diskussion zum Ausbau der Windenergie zu analysieren, um zu sehen, wie halbherzig die Politik mit dem Klimaschutz umgeht. Es geht hier aber um eine anzustrebende fundamentale Wende und nicht mehr um einen häufig von Lobbyorganisationen (z.B. INSM) mit beeinflussten und initiierten Minimalkonsens in Klimafragen mit dem Ziel: Klimaschutz verzögern, verzögern und noch einmal verzögern! Genau gegen diese Form von politischem Verständnis richtete sich das Rezo-Video.
Dr. Robert Schmidt
Weiterführende Literatur und Weblinks:
Levitsky, Steven und Daniel Ziblatt (2018) Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können, München
Schäfer, Armin (2015) Der Verlust politischer Gleichheit,
Frankfurt a. M.
Griber, Ulrich (2016) Der leise Atem der Zukunft. Vom Aufstieg nachhaltiger Werte in Zeiten der Krise, München
Tillack, Hans-Martin (2015) Die Lobby-Republik. Netzwerke, Interessen, Einflussnahmen, Berlin
Rezo-Video-Link und Quellen:
https://www.youtube.com/watch?v=4Y1lZQsyuSQ
https://docs.google.com/document/d/1C0lRRQtyVAyYfn3hh9SDzTbjrtPhNlewVUPOL_WCBOs/edit
Bernd Ulrich: Die Ja-aber-Sager: https://www.zeit.de/2019/32/klimapolitik-klimawandel-fridays-for-future-bundesregierung
Johannes Schneider: Rezo. Nicht nur die CDU wird zerstört.
https://www.zeit.de/kultur/2019-05/rezo-video-youtuber-cdu-reaktionen-demokratie
Lobby-Control: www.lobbycontrol.de
Rezo, Fridays for future und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM): https://www.nachdenkseiten.de/?p=54646
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/auswirkungen-von-mindestabstaenden-zwischen

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